
Ein US-Softwarestudio hat von seinem niederländischen Mitarbeiter verlangt, die Webcam im Homeoffice permanent eingeschaltet zu lassen sowie den Bildschirm zu teilen. Nach einer Klage bekam der Mann von einem Gericht in den Niederlanden nun Recht. Nach Auffassung des niederländischen Provinzgerichts für Zeeland und West Brabant in Tilburg verstößt die Webcam-Pflicht gegen das Recht auf Privatsphäre, das in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben ist.
Der Mitarbeiter hatte seinen Chefs gemailt, er fühle sich unwohl, wenn neun Stunden am Stück die Webcam laufe und der Bildschirm geteilt werde. Die Richter haben in ihrem Urteil klar festgestellt, dass das Ausmachen einer Webcam im Homeoffice vom Unternehmen nicht als Arbeitsverweigerung gewertet werden darf. Doch mit genau dieser Begründung – Ungehorsam und Arbeitsverweigerung – hatte die US-Softwarefirma Chetu Inc. den niederländischen Mitarbeiter der Marketing-Abteilung Ende August 2022 fristlos entlassen. Bei dem vor Gericht verhandelten Fall handelte es sich wohl um eine besondere Situation und nicht um den normalen Arbeitsalltag: Es ging um eine verpflichtende eintägige Fortbildung für den Mitarbeiter. Während dieser Fortbildung sollte der Mann dauerhaft die Webcam anlassen und auch das Screensharing aktivieren, so dass die Leitung erkannt hätte, wenn der Mitarbeiter in der Zeit zum Beispiel private Mails geschrieben hätte. Diese Form der Überwachung ist in den USA durchaus üblich.
Dicht nach dem Gericht
Dass der Mitarbeiter nach dem Urteil jetzt auf seinen Arbeitsplatz zurückkehrt, ist mehr als unwahrscheinlich. Der Softwareentwickler Chetu Inc., der seine Zentrale in Miramar, Florida hat, hat seine Filiale in den Niederlanden nämlich kurz nach der fristlosen Entlassung dicht gemacht und auch aus dem Handelsregister gelöscht.
Mögliche Entschädigung von über 75.000 Euro
Der Mitarbeiter muss sich jetzt zwar einen neuen Arbeitgeber suchen. Er kann sich aber auf eine Entschädigung von mehr als 75.000 Euro freuen – vorausgesetzt, beide Parteien gehen nicht mehr gegen das Urteil vor. Und das ist noch nicht entschieden. Erst danach wird das Urteil rechtskräftig – und könnte dann zur Blaupause für andere Verfahren zu diesem Thema in Europa werden.
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